Donnerstag, 26. Januar 2012

Tagblatt / NZZ Online: Schweizer Atomkraftwerke sind sicher

Eine grosse Überschrift für einen kleinen Artikel im St. Galler Tagblatt.
Da können wir ja beruhigt sein. Unsere Atomkraftwerke sind sicher. Aber woher wissen wir das? Galten nicht bisher eigentlich alle Nuklearanlagen als sicher, bis sich eine Katastrophe ereignete?
"Aufsichtsbehörde Ensi zieht positive Bilanz für 2011"
Ok. Das ENSI meldet dies in einer Pressemitteilung. Schön, dass deren Pressestelle schon fast druckfertige Texte liefert. Das erspart den gestressten Journalisten viel Schreibarbeit und Rechercheaufwand. Der Titel der ENSI-Mitteilung ist mit:
"Keine ungeplanten Schnellabschaltungen in Schweizer Kernkraftwerken im Jahr 2011", übrigens massiv weniger euphorisch.
"Die Sicherheit in Schweizer Atomkraftwerken ist im Jahr der Atomkatastrophe von Fukushima jederzeit gewährleistet gewesen. Zu diesem Schluss kommt die Schweizer Atomaufsichtsbehörde Ensi in ihrer am Dienstag veröffentlichten Sicherheitsbilanz 2011."
Hmmm. Dass die Sicherheit in den AKWs jederzeit gewährleistet ist, setze ich voraus. Das ist meiner Meinung nach keine wirkliche Besonderheit. Die Frage ist eher, ob es auch eine Meldung geben würde, wenn dies nicht der Fall wäre. Eine Meldung wie "ENSI entdeckt beim AKW Mühleberg schwere Mängel bei der Notkühlung" könnte ja zu Panik in der Bevölkerung führen und dürfte so sicherlich nicht veröffentlicht werden.
Und weil es keine Sicherheitsmängel bei der Notkühlung in Mühleberg gibt, mussten auch nicht mittels Sonderrecht ohne Baubewilligung innerhalb kürzester Zeit dicke Betonpfeiler in die Aare gebaut werden. Oder so. Was die anscheinende Sicherheit der schweizer AKWs besonders in diesem Jahr mit Fukushima zu tun hat (und sonst offenbar nicht?), erschliesst sich mir leider nicht vollständig.
"Letztes Jahr ist es demnach in keinem der fünf Schweizer Atomkraftwerke (AKW) zu einer ungeplanten Schnellabschaltung gekommen. Seit Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerks 1969 ist dies erst das dritte Berichtsjahr, in dem es zu keiner ungeplanten Schnellabschaltung kam. Letztmals war dies in den Jahren 2006 und 2010 der Fall."
 Wow. Keine einzige ungeplante Schnellabschaltung. Das ist schön für die Betreiber, denn das bedeutet, dass sie während der ganzen Zeit Strom verkaufen konnten. Daraus einen hohen Sicherheitsstandard ab zu leiten halte ich für reichlich gewagt. Dies ist nämlich statistisch komplett irrelevant und hat zudem mit der Sicherheit (bzw. mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein schweres Unglück eintritt) keinen kausalen Zusammenhang.
"Auch bei den meldepflichtigen Vorkommnissen ist die Bilanz positiv: Diese seien um einen Viertel auf 31 Ereignisse zurückgegangen. 30 davon wurden der Ereigniskategorie Null zugeordnet."
Ok. Von ca. 40 meldepflichtigen Vorkommnissen auf 31 zurück. Gemäss Selbstdeklaration der Betreiber. Und das über einen Zeitraum von einem Jahr. Auch die Aussagekraft dieser Zahlen ist eher beschränkt. Wie sieht denn eigentlich der langfristige Trend aus? Das steht leider nicht in der Pressemitteilung des ENSI und folglich auch nicht im Tagblatt. 
"Ein Ereignis wurde zur Kategorie 1 der nach aufsteigender Schwere eingeteilten siebenstufigen Ereignisskala gezählt. Betroffen war das AKW Mühleberg im Kanton Bern, das nur wenig unterhalb eines Staudamms an der Aare steht.
Das Reaktorunglück im japanischen Fukushima hatte eine Debatte über eine bei extremem Hochwasser mögliche Verstopfung der Wasserfassung für das Notkühlsystem ausgelöst. Die Mühleberg- Betreiberin BKW nahm deshalb das AKW vor dem ordentlichen Revisionstermin vom Netz, um die Anlage nachzurüsten."
Ok. Es ist nichts passiert. Und unsere AKWs sind sicher, auch wenn die Untersuchungen aufgrund der Katastrophe in Fukushima einen Mangel aufgedeckt haben, der u.U. zu einem Ausfall der Notkühlung  und damit zu einem ähnlichen Szenario wie in Japan hätte führen können. Das ist eine seltsame Auffassung von "Sicherheit".

Der Artikel hat noch ein paar Zeilen an Inhalt, in denen aufgezählt wird, wie sich die Meldungen auf die verschiedenen vom ENSI überwachten Einrichtungen verteilen.

Interessant ist, dass das ENSI in der Pressemitteilung faktisch schreibt, dass man erst Mitte Jahr ein endgültiges Fazit ziehen kann. Dazu das ENSI:
"Die Resultate wird das ENSI in seinem Aufsichtsbericht Mitte Jahr veröffentlichen. Derzeit sind noch einzelne Abklärungen im Gang, weshalb die abschliessende Beurteilung der Vorkommnisse noch Änderungen erfahren kann."
Insgesamt ein recht schwacher Artikel des St. Galler Tagblatts. Oder besser gesagt: Eine blosse Zusammenfassung einer Pressemeldung ohne auch nur ein Wort davon kritisch zu hinterfragen oder auf die (scheinbaren?) Widersprüche innerhalb der Meldung einzugehen.

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