Donnerstag, 3. Februar 2011

Tagesanzeiger: Das Web ist voll

Dass in diesem Blog so viel über Artikel aus dem Tagesanzeiger geschrieben wird, ist nicht mit einer Aversion gegen diese Zeitung zu erklären. Schliesslich ist der Tagesanzeiger für mich so etwas wie meine Heimzeitung. Und meist sind die Artikel auch gar nicht so schlecht. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Journalisten auf dieser Redaktion einen Spass daraus machen, den "schweizweit schlechtesten Artikel des Jahres" zu schreiben. Und dies hier ist ein besonders erfolgversprechender Kandidat dafür!

Nur schon der Titel gibt dem technikinteressierten Nutzer einen Hinweis auf die zu erwartende Qualität:
"Das Web ist voll"
Liebevoll wurde da nach einem eingängigen Titel gesucht. Kurz, prägnant und verständlich sollte er sein. Dass der Autor damit in der Mottenkiste der Erinnerung kramt und dabei das Netz namens "Internet" und das Web gleichsetzt,  lässt nichts Gutes erahnen. Wenn ein Laie den Unterschied zwischen WWW und Internet nicht kennt, ist dies nicht weiter tragisch. Aber jemand, der anderen etwas zum Thema erzählen will, sollte schon wenigstens eine kleine Ahnung von der Materie haben!
"Langsam werden die IP-Adressen knapp. Voraussichtlich Ende dieses Jahres werden alle verfügbaren Internetadressen aufgebraucht sein. Gibt es eine Lösung?"
- "Langsam werden die IP-Adressen knapp"
Dies ist ein Thema, über das schon seit etwa 10 Jahren diskutiert wird. Es ist ein Problem, dass sich seit mindestens einem halben Jahrzehnt anbahnt und beobachtet wird. In den letzten 12 Monaten hat sich der Prozess aber deutlich beschleunigt (so ähnlich wie bei Hamsterkäufen, wenn die Angst besteht, dass etwas bald nicht mehr verfügbar ist).

- "Voraussichtlich Ende dieses Jahres werden alle verfügbaren Internetadressen aufgebraucht sein"
IP-Adressen werden nich aufgebraucht sondern entweder "vergeben" oder "reserviert". Ausserdem sind nicht alle Adressen vergeben. Viele Adressen sind unbenutzt aber nicht verfügbar weil der Adressraum nicht immer sonderlich effizient genutzt wird. Apple alleine verfügt für seine Firma über ca. 16Mio Adressen (wie andere Pioniere auch), die wahrscheinlich nur zu einem Bruchteil auch genutzt werden.

- "Gibt es eine Lösung?"
Kindische, rethorische Frage! So ein Satz mag in einem billigen Groschenroman helfen, so etwas wie einen Spannungsbogen aufzubauen. In einem Artikel, der die Leser mit Fakten zu einem aktuellen Thema versorgen soll, sehe ich den Sinn nicht wirklich ein.
"Dem Internet drohen die Adressen auszugehen. Die internationale Adressverwaltungs-Organisation IANA habe mittlerweile 251 der 256 grossen Adressblöcke vergeben, erklärte der deutsche Hightech-Verband Bitkom am Donnerstag in Berlin."
Dem Internet geht gar nichts aus! Aber es wird bald passieren, dass Kunden (z.B. Internet-Provider) die für ihre Dienste neue IP-Blöcke (Gruppen von IP-Adressen, die haben nichts mit den bekannten Domainnamen oder URLs zu tun) benötigen, keine mehr erhalten werden. Es sind auch nicht 251 grosse Blöcke (sogenannte Class-A Netze) vergeben, denn einige dieser Netze sind reserviert. Wer mehr Infos zum Thema will, welche Blöcke reserviert sind, kann dies gut bei heise-online nachlesen.
"Die letzten fünf Blöcke mit neuen Internetadressen werde die IANA schon sehr bald an die fünf regionalen Organisationen zur Verteilung der Adressen vergeben. Ende 2011 seien dann voraussichtlich alle verfügbaren Internetadressen aufgebraucht."
 Die fünf regionalen Organisationen sind übrigens:
  • ARIN für Nordamerika
  • RIPE NCC für Europa, mittleren Osten und Zentralasien
  • APNIC für Asien und Pazifikregion (z.B. auch Australien und Neuseeland)
  • AfriNIC für Afrika
  • LACNIC für Lateinamerika und einige Karibikinseln
Eine schöne Übersicht ist auf der IANA selbst zu finden.

Es ist also nun so weit, dass die letzten 5 Blöcke von je etwa 16 Millionen Adressen an diese Organisationen verteilt werden. Diese verteilen diese Blöcke auf Anfrage dann weiter an ihre Kunden (meist an Provider von Internetzugängen oder Hosting). Dazu werden diese grossen Blöcke in kleinere Einheiten aufgeteilt. Es könnten also aus jedem dieser Blöcke z.B. 256 Einheiten zu je ca. 65'000 Adressen "schneiden". Oder ca. 65'000 Blöcke zu je 256 Adressen und viele Mischformen dazwischen.

"Die sogenannten IP-Adressen im Internet bestehen aus 32 Nummern."
32 Nummern? Naja, 32 bit. D.h. 32 Nullen oder Einsen. Meist aber dargestellt als 4 durch Punkte getrennte Zahlen von 0 bis 255.
"Sie stecken unter anderem hinter den gut merkbaren Internetadressen mit Endungen wie .ch oder .com."
Das ist nicht komplett falsch. Das ist jedoch schon das Positivste, das man über diesen Satz sagen kann. Denn gerade im Zusammenhang mit den knapper werdenden IP-Adressen hat das Domain Name System kaum Relevanz.
"Aber auch jeder Computer und jedes Handy, das sich mit dem Internet verbindet, bekommt eine solche Adressnummer zugewiesen."
Auch diese Aussage ist nicht ganz falsch. Gerade aber mit den immer stärker verbreiten Smartphones bekommt man keine einmalige, öffentliche Adresse vom Mobilfunkprovider, sondern eine sogenannte private Adresse. Dies bedeutet, dass mit einer NAT (Network Address Translation) genannten Technik,  ganz viele Geräte mit einer einzigen oder einigen wenigen öffentlichen Adressen auskommen. Damit werden nicht alle Probleme gelöst (und es entstehen einige neue Probleme) aber das Problem der Adressknappheit kann etwas entschärft werden. Jeder Home-Router (ADSL-Router, WLAN-Router usw.) für zu Hause macht übrigens dasselbe. Egal, ob man einen Computer oder 50 Computer anhängt, es wird nur eini einzige IP-Adresse vom Provider benötigt.
"Der 1980 eingeführte Standard IPv4 ermöglicht 4,3 Milliarden Adressen – doch diese sind bald ausgeschöpft."
Das heisst aber nicht,  dass wirklich alle 4.3 Milliarden (Genau: 4'294'967'296) belegt sind. Da die Adressen immer in Blöcken bestimmter Grössen vergeben werden und einige dieser Adressen auch einfach für die Verwaltung der Netze benötigt werden, entsteht ein beträchtlicher "Verschnitt". Leider wäre der Aufwand, diesen Verschnitt zu reduzieren extrem gross, so dass dies keine Lösung darstellt.

Dann kommen 2 Abschnitte zu IPv6 (dem Nachfolger vom aktuellen IPv4) die nicht kompletter Unsinn sind, deshalb lass ich die mal weg.
"Der neue Standard ist nicht nur notwendig, um neue Domainnamen im Internet zu registrieren – sondern auch für die vielfältigen neuen Dienste. Sind künftig auch Kühlschränke, Autos oder Herzschrittmacher mit dem Internet verbunden, benötigen auch sie eine IP-Adresse."
Und wieder zeigt der Autor, dass er zwar einige gängige Begriffe aus dem Umfeld des Internets kennt, aber nicht wirklich damit umgehen kann. Denn mit dem System der Domainnamen hat die Art der Adressierung nur wenig zu tun. Dem DNS ist es absolut egal, ob er nun Adressen im IPv4-Format oder IPv6 ausliefern muss (wird immer mehr parallel in beiden Formaten gemacht). Auch braucht es nicht für jede Domain eine eigene IP-Adresse. Dieser Blog liegt z.B. mit tausenden anderen Blogs, die unter diversen Adressen erreichbar sind, auf einem einzigen Server (bzw. auf einer Gruppe von Servern, aber das sind Details).

Und wieso mein Kühlschrank eine eigene öffentliche IP-Adresse benötigen soll, ist mir schleierhaft. Für die meisten Anwendungen reicht eine einzige Adresse für ein ganzes Haus aus. Natürlich sollen wir auf IPv6 umsteigen, denn es bietet viele Chancen! Und natürlich geht der Vorrat an verfügbaren IPv4-Adressen schnell zur Neige. Aber dies ist nicht wegen Smartphones, oder vernetzten Kühlschränken, sondern weil auch Länder, die bisher nur spärlich mit dem Internet verbunden waren, sehr schnell den Anschluss finden. Und dafür braucht es Adressen. Nur schon, um diesen Ländern dieselben Chancen einzuräumen, müssen genügen Adressen einfach verfügbar sein. Und dies ist nur mit IPv6 möglich!

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