Dienstag, 7. Dezember 2010

Tagblatt: PostFinance schliesst Konto von Assange

Das St. Galler Tagblatt veröffentlicht eine Meldung der SDA unkommentiert. Das ist ihr gutes Recht und leider in praktisch allen Medien absolut normal. Manchmal wäre es jedoch sicher gut, ein bisschen nach zu fragen.

Am Artikel selbst gibt es wenig auszusetzen. Die Frage gehen eher  in Richtung Motivation und Motive der beteiligten Stellen. Und wieso diese Fragen offenbar nicht gestellt werden!
"Grund sei, dass der Australier bei der Kontoeröffnung falsche Angaben zu seinem Wohnort gemacht habe.

Als Domizil habe Assange Genf angegeben, was sich bei einer Überprüfung der Daten aber als unwahr herausgestellt habe, schreibt PostFinance am Montag in einer Mitteilung weiter."
Offenbar hat dieses Konto also schon eine ganze Weile bestanden. Wie lange, das wissen wohl einzig die Postfinance und die Kontaktpersonen von Assange. Wieso wurden die nicht danach gefragt?
Werden die Daten denn nicht bei Eröffnung und vor der Aktivierung des Kontos überprüft? Was war die Motivation, diese Überprüfung gerade jetzt durchzuführen? Gab es Druck von aussen?

"Man werde nun versuchen, mit Assange Kontakt aufzunehmen, um zu erfahren, auf welches Konto das Geld überwiesen werden könne, sagte PostFinance-Sprecher Marc Andrey auf Anfrage."
Man hat also offenbar Kontakt gehabt und Fragen gestellt. War denn nun dies das einzige, was von Interesse war?

Einen Gedankenanstoss gibt es noch aus diesem kurzen Abschnitt:
"Am Wochenende hatte der Internet-Bezahldienst PayPal sein Wikileaks-Konto wegen angeblicher «Verletzung der Nutzungsbedingungen» gesperrt. Beobachter gehen davon aus, dass die Tochtergesellschaft des Internet-Auktionshauses Ebay seine Geschäftsbeziehung zu Wikileaks auf Druck der USA hin beendet hat."
Gibt es auch im Fall Postfinance solche Vermutungen? Was sagt Postfinance selbst dazu?

Also, liebe Journalisten. Versucht doch bitte auf folgende Fragen eine Antwort zu geben. Oder vielleicht beantwortet ja Postfinance selbst diese Fragen:
- Wie lange hat das Konto bestanden?
- Wurden schon früher Überprüfungen durchgeführt?
- Nach welchen Kriterien werden im Allgemeinen solche Prüfungen durchgeführt?
- Wieso wurde die Angaben ausgerechnet jetzt überprüft?
- Gab es Druck von aussen, dieses Konto zu sperren?

Interessant dazu ist auch die Pressemeldung der Post:
"...[unwahre Angaben zum Wohnort] Aus diesem Grund ist PostFinance berechtigt, das Konto zu schliessen. Wenn sich beim Inhaber eines Kontos Hinweise ergeben, dass dessen Angaben nicht den geltenden Bestimmungen entsprechen, klärt PostFinance den Sachverhalt detailliert ab und zieht die entsprechenden Konsequenzen."
Ok. Kann man so stehen lassen. Mit dem aktuellen Interesse an Assanges Person kann man dieser Aussage mit gutem Willen sogar Glauben schenken (wobei, welche Firma verzichtet schon freiwillig auf Kunden?!?)
Dass PostFinance dann aber im gleichen Atemzug eine seltsame Rechtfertigung für ihr Vorgehen nachschiebt, hinterlässt bei mir einen sehr seltsamen Beigeschmack:
"Kontrahierungszwang greift nicht
Das Bundesgericht hat am 22. Juli 2010 entschieden, dass PostFinance wegen ihres Grundversorgungsauftrags allen Interessenten ein Konto für den Zahlungsverkehr anzubieten und bereits bestehende Konten weiterzuführen hat (Kontrahierungszwang)."
Aha. Also bewegt sich PostFinance ganz klar ausserhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens und weiss dies auch! Es muss der PostFinance aus irgendwelchen Gründen als sehr viel daran liegen, Assange los zu werden, dass sie diesen Schritt vollzogen haben.
"Eine Auflösung der Kontobeziehung (oder die Nichtaufnahme derselben) ist nur aus wichtigem Grund möglich. Das Bundesgericht hat nicht definiert, was ein wichtiger Grund ist. Der Ständerat hat auf das Urteil reagiert und am 30. November 2010 eine Bestimmung in das Postgesetz aufgenommen."
Wow, jetzt bin ich endgültig platt! Wie praktisch, dass genau 7 Tage vor Veröffentlichung  der Pressemeldung der Ständerat die gesetzlichen Grundlagen schafft, um dieses Urteil der höchsten Rechtsinstanz der Schweiz zu umgehen.
"Diese schafft PostFinance Möglichkeiten, Geschäftsbeziehungen aufzuheben, die dem öffentlichen und dem sittlichen Empfinden zuwiderlaufen."
Hm. Das ist aber wohl ein griffiger Artikel. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, jedem nicht genehmen Kunden (sei es aus politischen, gesellschaftlichen oder sozialen Gründen) los zu werden.
"Noch ausstehend ist die Zustimmung des Nationalrates."
Aha. Also ist das Gesetz noch nicht in Kraft. Und es ist auch nicht sicher, dass der Nationalrat zustimmen wird.
"Voraussetzung ist schliesslich die Zustimmung der eidgenössischen Räte zur gegenwärtig behandelten Postgesetzgebung."
Postfinance bewegt sich also eindeutig ausserhalb des gesetzlichen Rahmens und weiss das auch. Das macht mich sehr nachdenklich!



Auf mich wirkt das ganze extrem bemüht und seltsam. Ich frage mich auch, wieso PostFinance mit dieser Meldung an die Öffentlichkeit geht. Gilt der Datenschutz hier nicht? Was ist mit der berühmten Diskretion in der schweizer Finanzwelt?

Aufgrund dieser offenen Fragen habe ich an den Mediensprecher von PostFinance eine Mail mit meinen Fragen geschrieben. Sollten Antworten auf meine Fragen eintreffen, werde ich diese hier selbstverständlich als Update veröffentlichen.

1 Kommentar:

  1. Ich habe die Meldung im Bus gesehen und mir dabei nur gedacht: "Die USA und die Banken machen also ernsthaft Druck." und mehr nicht. Dass die Post sich auf dünnen Eis bewegen könnt ist mir nicht im Traum in den Sinn gekommen...

    Hut ab. Spannender Artikel.

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