Dienstag, 7. Januar 2014

Diverse Medien: IV setzt Hirnscans ein, um Depression zu diagnostizieren

Seit gut 24 Stunden geistert obengenannte Meldung durch die Medien. Gestern war es sogar das Titelthema in 20min.
Aber auch der Tagesanzeiger berichtet zum Thema.
Besonders unkritisch berichtet der Blick.

Update: Der Tagesanzeiger hat es kurz nach Veröffentlichung meines Blogs doch noch geschafft, ein Interview mit den Aussagen eines Spezialisten zu veröffentlichen. Sehr empfehlenswert, das zu lesen.




Traurig ist, dass offenbar alle nur abschreiben und nicht darauf kommen, dass man ein EEG nicht als Hirnscan bezeichnet (ein fMRI wäre z.B ein typischer Scan). Bei einem EEG werden keine Bilder aufgenommen, sondern Widerstandsänderungen gemessen (und als Kurven aufgezeichnet).
Wieso sich dann SRF bemüssigt fühlt, Computertomographien zu zeigen, erschliesst sich mir nicht ganz.

Update: inzwischen wurde das Bild ersetzt

Ein EEG sieht z.B. so aus:

Aber auch bei Tagesanzeiger und 20min kommen vor allem Politiker oder Vertreter von Patientenorganisationen zu Worte. Offensichtlich hat sich niemand die Mühe gemacht, mal die einschlägige Literatur zu konsultieren oder Psychologen, Neurologen oder wenigstens die durchführenden Spezialisten zu befragen. Wo bleibt die vielgelobte Recherche?
Eine ganz kurze Recherche meinerseits hat z.B. dieses Paper gebracht (nur abstract, der Rest ist hinter einer Paywall, aber das ist ein anderes, trauriges Thema). Veröffentlicht 2010 ist es wohl noch kaum überholt, da es gerade in der Medizin häufig viele Jahre dauert, bis aus Erkenntnisse aus der Forschung auch in der Praxis angewendet werden.
Ausschnitt:
"Resting EEG was recorded for the duration of 30 min. Spectral asymmetry (SA) of the EEG spectrum was estimated as relative difference in the selected higher and lower EEG frequency band power. Calculated SA values were positive for depressive and negative for healthy subjects (except for 2-3 subjects). The values behaved similarly in all EEG channels and brain hemispheres. Differences in SA between depressive and control groups were significant in all EEG channels. Dependence of SA on EGG signal length appeared not to be identical for depressive and healthy subjects. Our results suggest that SA based on balance between the powers of the higher and the lower EEG frequency bands seems to enable characterization of the EEG in depression."
36 Patientinnen, davon 18 mit diagnostizierter nicht medikamentös behandelter Depression und 18 als Kontrollgruppe, wurden getestet. Es gibt eine Korrelation zwischen EEG (in Ruhe) und Depression. Diese Korrelation traf aber bei 2-3 Testpersonen nicht zu! Das ist also eine Fehlerquote von mindestens 6-8%. Und von einer Quantifizierung ist schon gar nicht die Rede.
Es wird sicher noch mehr Literatur zum Thema geben, welche für jemanden, der eine Suchmaschine bedienen kann, leicht zu finden sein dürfte.
So wie sich das Ganze für mich darstellt, wurden die IV-Stellen über den Tisch gezogen. Oder man hat ein Hilfsmittel, welches nur ein kleines Gewicht in der Diagnostik hat, künstlich in den Mittelpunkt gestellt, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Schade, dass die Medien hier mal wieder mehr Fragen unbeantwortet lassen als zu deren Klärung bei zu tragen. Ein Statement eines Spezialisten auf dem Gebiet hätte zur Aufklärung gereicht (aber dann wäre ev. halt kein reisserischer Artikel draus geworden).

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