Freitag, 10. Juni 2011

Tagesanzeiger: Filme und Songs aus dem Netz: Was in der Schweiz erlaubt ist

Wow, was für ein langer Titel. Aber er ist jeden Buchstaben wert. Klar und verständlich, so soll es sein. Ein Artikel, inspiriert durch die kürzliche Schliessung von kino.to, der den Lesern die Rechtslage beim Download von nicht korrekt lizenziertem Content erläutert.

Andere Medien versuchen zwar den Anschein von Unvoreingenommenheit zu erwecken, indem sie auch Interessenvertreter der Medienimperien zu Wort kommen lassen (z.B. 20min  Was-Kino-to-Nutzer-zu-befuerchten-haben) die natürlich versuchen, die an sich klare Rechtslage nach ihrem Interesse umzudeuten.

Die Rechtslage in der Schweiz ist jedoch zum aktuellen Zeitpunkt sonnenklar und auch mit der letzten Reform des Urheberrechts (die die Rechte der Nutzer gegenüber der Industrie massiv schwächte ohne dass die Künstler davon profitieren könnten) wurde in diesem Punkt nichts verändert.



Im Tagesanzeiger hat Reto Knobel ein erfreulich sachliches Interview mit Janine Jakob, Rechtsexpertin bei der schweizerischen Stiftung für Konsumentenschutz, zu diesem Thema geführt.
"...Es gibt Portale, die gratis oder günstig Filme und Songs zum Download anbieten. Usenext.de zum Beispiel, das Inhalte ohne Einverständnis des Rechteinhabers offeriert. Upgeloadet wird nichts – ist es somit in der Schweiz auch legal?Solange sich die Nutzung auf den Download beschränkt, macht man sich in der Schweiz nicht strafbar. Aber eben: Das Aufschalten («Uploaden») von geschützten Text-, Bild- oder Musikdateien auf einen jedermann frei zugänglichen Internet-Bereich ist definitiv nicht erlaubt. Es gibt dazu zwei Urteile: einen Entscheid des Strafgerichts Basel-Stadt vom 31. Januar 2003 und einen Entscheid des Bundesgerichts vom 11. August 1999."
Diese Aussage lässt wohl an Klarheit nichts zu wünschen übrig und bedarf auch keiner Uminterpretation. Erfreulich mutig finde ich vom Tagesanzeiger, gleich eine Quelle direkt zu benennen.

Im Artikel von Daniel Schurter in 20min lautet die Einleitung anders:
"Nach der Sperre der Streaming-Plattform Kino.to stellt sich die Frage: Ist die Nutzung solcher Angebote in der Schweiz legal? Die Meinungen der Rechtsexperten gehen auseinander."
In diesem Fall interessieren aber kaum die Meinungen von irgendwelchen Interessenvertretern sonder die Rechtslage in der Schweiz.
"Für den auf IT- und Urheberrechts-Fragen spezialisierten Juristen David Rosenthal ist das Ende von kino.to nicht überraschend gekommen."
Ein Jurist, dessen Spezialgebiet die Informatik und das Urheberrecht ist. Zumindest unter diesem Gesichtspunkt scheint dies eine sehr verlässliche und fundierte Informationsquelle zu sein. Eine gute Wahl. Zwei Abschnitte weiter:
"(Rosenthal:)Entscheidend sei, dass es sich um bereits veröffentlichte Filme handle. Das heisst, ein Film muss in mindestens einem Kino irgendwo auf der Welt angelaufen sein. Dann – und nur dann – kommt Artikel 19 des Schweizer Urheberrechtsgesetzes zur Anwendung. Im besagten Artikel ist von «veröffentlichten Werken» die Rede, die für den Eigengebrauch genutzt werden dürfen. Dies sei auch ohne die Zustimmung der Inhaber der Urheberrechte zulässig, erklärt der Jurist. Man darf einen Kinofilm auch von einer Streaming-Site herunterladen, speichern und in der Familie oder mit guten Freunden anschauen."
Cool, dass  sogar gleich der Link auf den Gesetzestext mit drin ist! Da hat jemand verstanden, wie das im heutigen Web funktioniert. Auch sehr gut, dass hier noch präzisiert wird, unter welchen Umständen dieses Gesetz gilt.
Dass dieses Gesetz der Medienindustrie, die sich komplette Kontrolle wünscht, wer, wann, wo, was zu welchen Konditionen konsumieren darf, zuwiderläuft, ist verständlich.

Dann kommt die Überschrift:
"Oder eben doch illegal?"
Diese Überschrift gibt den darauf folgenden Aussagen eine Legitimität, die sie nicht besitzen.
"Die Filmindustrie und ihre Vertreter sehen das erwartungsgemäss anders. «Aus etwas klar Illegalem wird nie etwas Legales», sagt Adriano Viganò. Er ist Rechtsanwalt und Berater der Schweizerischen Vereinigung zur Bekämpfung der Piraterie (Safe). Sein Standpunkt: Bei aktuellen Kinofilmen, die gratis im Internet angeboten würden, könne es sich ja nicht um ein zulässiges Angebot handeln. Das sei auch bei Streaming-Sites für jedermann ersichtlich."
 Nur schon in diesen Sätzen zeigt sich, dass das seltsame Rechtsverständnis von Herrn Viganò nichts mit der Realität des schweizerischen Rechtssystems zu tun hat sondern mit seinem Wunschdenken. "es kann nicht sein" und "es müsste doch" und so weiter sind keine Begriffe, die juristisch viel Bestand haben (das musste schon viele Personen in anderen Fällen leidvoll erfahren). Und erst recht ist das schweizer Rechtssystem (zum Glück) kein Wunschkonzert der Urheberrechtsindustrie.
"«Es kann ja nicht das Rechtsverständnis der Schweiz sein, dass gestohlene Filme straflos angeboten werden dürfen», gibt der Rechtsanwalt zu bedenken."
Auch hier zeigt sich wieder, dass dieser Herr seine Wünsche über das schweizer Recht stellen will. Seine Entrüstung über das seiner Meinung nach falsche Rechtsverständnis ist deutlich spürbar.
Logisch wünscht er sich ein System, welches das obsolete Geschäftsmodell seiner Geldgeber stützt und diese in ihrem konsumentenfeindlichen Gebaren unterstützt.

Ob man Herrn Viganò wirklich danach noch so viel Platz für sein Drücken auf die Moraldrüse einräumen muss, ist fraglich. Auf der anderen Seite demontiert sich ja der Anwalt ausgiebig selbst mit seinen Aussagen und zeigt mit seinen Ausschweifungen deutlich, dass er die Argumente für seinen Standpunkt weitherum suchen muss. Mit der richtigen Prise Skepsis gelesen kann also der 20min-Artikel sehr lehrreich sein!
"Problematisch sei das «absolut unkontrollierte Umfeld» aber vor allem auch aus Nutzersicht. Auf den Streaming-Plattformen seien selbst «übelste Inhalte» wie Gewalt-Videos und Pornos für Jugendliche frei verfügbar. «Der Jugendschutz ist überhaupt nicht gewährleistet.»"
Man könnte ja fast meinen, dass die Medienindustrie die Beschränkungen im Zugang zu solchen Inhalten selbst und freiwillig eingeführt hätte. Die Medienindustrie hat in der Geschichte erwiesenermassen nur Einschränkungen selbst eingeführt, die dem eigenen Einkommen dienen (vor allem Einschränkungen der Rechte der Konsumenten).
Und am Schluss noch die obligate Drohung an alle Konsumenten (also die eigenen Kunden!)
"Viganò richtet eine Warnung an die Nutzer der Streaming-Sites. Auch in der Schweiz werde der Datenverkehr rund um die Streaming-Websites beobachtet. «Man kann nichts tun im Internet, ohne Spuren zu hinterlassen.»"
Auch hier wieder der klassische FUD-Ansatz. Wenn man keine Argumente hat, versucht man Angst, Unsicherheit und Zweifel zu streuen. Denn die Gesetzeslage in der Schweiz lässt aktuell noch keine breite, verdachtsunabhängige Überwachung des Internetverkehrs zu (vor allem nicht für Urheberrechtsvergehen die nicht mal unter das Strafrecht sondern unter das Privatrecht fallen).

Alles in allem kein schlechter Artikel. Ein Kommentar (oder ein paar kritische Fragen) zu den äusserst fragwürdigen Aussagen des Intereressenvertreters der Medienindustrie hätte die Sache aber nochmals deutlich aufgewertet. Eine Direktbegegnung zwischen Herrn Viganò und Frau Jakob wäre sicher eine äusserst erhellende Angelegenheit (*hint* *hint*)

1 Kommentar:

  1. Der Staat muss endlich wirksame Schutzmechanismen für das Internet schaffen. Bin mal gespannt, was dazu heute abend bei Eins gegen Eins gesagt wird: http://on.fb.me/gnPIns

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